Clara Woltering: Wir können mit jedem Gegner mithalten““

Aufgrund der Verletzung von Kapitänin Isabell Klein wurde Torhüterin Clara Woltering vor der Europameisterschaft in Serbien zur Spielführerin ernannt. Die 29-Jährige, die mittlerweile auf 148 Länderspiele zurückblickt, zählte zu den erfahrensten Spielerinnen der DHB-Auswahl. Gemeinsam mit Katja Schülke bildete sie ein sicheres Torhütergespann und führte die Nationalmannschaft zum 7. Platz. Im Handball.de-Interview spricht Clara Woltering mit Mitarbeiter Oliver Jensen über das zurückliegende Turnier. Handball.de: Frau Woltering, mit welchen Gedanken blicken Sie auf die Europameisterschaft zurück?
Woltering:
 Ich denke, wir können zufrieden sein. Wir haben gegen jede Mannschaft mithalten können und steigerten uns im Verlaufe des Turniers. Natürlich ist es schade, wegen eines Tores nicht um Platz 5 und 6 gespielt zu haben. Trotzdem können wir stolz auf den Sieg gegen Montenegro sein, die nun amtierender Europameister sind.“  Handball.de: Aufgrund der Verletzung von Isabell Klein wurden Sie zur Kapitänin ernannt. Wie fühlte sich das an?
Woltering:
 „Es ist natürlich eine große Ehre. Gerade wenn man bedenkt, was für große Spielerinnen vor mir Kapitänin waren. Trotzdem wäre es mir lieber gewesen, wenn Isi sich nicht verletzt hätte.“  Handball.de: Sind Sie eine dominante oder eher zurückhaltende Spielführerin? 
Woltering: „Eine Mischung aus beidem. Auf dem Spielfeld bin ich eher laut. Aber ansonsten herrschen bei mir normale Töne. Ich musste ohnehin keine großen Ansprachen vor der Mannschaft halten.“ Handball.de: Hatten Sie nach den beiden Niederlagen gegen Spanien und Ungarn Angst vor einem weiteren Desaster?
Woltering:
 „Wir waren natürlich nicht zufrieden, weil wir über weite Strecken den Ton angaben und die Spiele mit leichten Fehlern aus der Hand gaben. Das hat uns verunsichert. Aber nach dem Spiel gegen Kroatien ist der Knoten geplatzt. Wir gewannen Selbstsicherheit hinzu, die uns bei den weiteren Spielen half.“  Handball.de: Warum hat die Mannschaft zum Spielende oft abgebaut? 
Woltering: „Ich denke nicht, dass es an der Kondition lag. Uns fehlte einfach die Coolness und Cleverness, wir waren nicht abgeklärt. Wir müssen uns zukünftig spielerisch weiterentwickeln. Mit einigen Debütantinnen haben wir frischen Wind in den Kader gebracht. Junge Leute, die eine lange Karriere bei der Nationalmannschaft vor sich haben, sind hinzugekommen. Auch unsere Einstellung hat gepasst. Wir haben immer gekämpft und geackert. Daher blicke ich optimistisch in die Zukunft.“ Handball.de: Anja Althaus wurde zur besten Abwehrspielerin der EM ernannt. Steckt in der Nationalmannschaft mehr individuelle Klasse als zuletzt angenommen? 
Woltering: „Ich freue mich für Anja, weil sie seit vielen Jahren dabei ist und immer hart arbeiten. Aber wir hatten auch in den letzten Jahren individuelle Klasse. Handball ist eine Mannschaftssportart. Die individuelle Klasse muss richtig zusammengefügt werden. Und das haben wir diesmal besser umgesetzt als zum Beispiel bei der Weltmeisterschaft.“ Handball.de: Was wäre erst möglich gewesen, wenn die verletzten Leistungsträgerinnen Isabell Klein, Stefanie Melbeck und Susann Müller dabei gewesen wären? 
Woltering: „Gute Frage. Natürlich hat uns die Durchschlagskraft auf der rechten Rückraumposition manchmal gefehlt. Trotzdem hat das Anne Hubinger mit ihren 19 Jahren gut gemacht.“Handball.de: Ist der Sieg gegen den späteren Europameister Montenegro der Beweis, dass man auf höchstem Niveau spielen kann und dass lediglich noch die Konstanz fehlt? 
Woltering: „Es ist tatsächlich eine wichtige Aufgabe, dass wir zukünftig konstanter spielen. Die Weltspitze ist so nahe beieinander, dass man jede Mannschaft besiegen könnte. Auch bei der Weltmeisterschaft 2011 haben wir im ersten Spiel gegen den späteren Weltmeister Norwegen gewonnen. Natürlich darf man einzelne Siege nicht überbewerten. Aber sie beweisen, dass wir mit jedem Gegner mithalten können.“ Handball.de: Bundestrainer Heine Jensen sagte allerdings, man dürfe nicht zufrieden sein, weil man weiterhin mit leeren Händen dasteht. 
Woltering:
 „Uns ist klar, dass wir weiter hart arbeiten müssen. Es darf keinen Stillstand geben. Trotzdem war es für uns wichtig festzustellen, dass wir mit der harten Arbeit bereits erste Erfolge sammeln.“ Handball.de: Nach dem 17. Platz bei der Weltmeisterschaft in Brasilien herrschte Krisenstimmung. Nun ist ein Aufbruch zu spüren. Was ist in diesem einen Jahr geschehen? 
Woltering: „Wir haben gut trainiert, besonders im mentalen und athletischen Bereich viel gearbeitet. Daher sind wir jetzt auf einem guten Weg. Aber wie gesagt: Einen Stillstand darf es nicht geben. Ansonsten geht es wieder ganz schnell in die andere Richtung. Man darf nicht vergessen: Hätten wir gegen Kroatien nur ein Tor weniger erzielt, wären wir nicht in die Hauptrunde eingezogen." Handball.de: Bei der EM 2006 landete die Nationalmannschaft mit Ihnen auf Platz 4, bei der WM 2007 sogar auf Platz 3. Warum gab es die Jahre danach überhaupt diese Krisen? 
Woltering: „Schwer zu sagen. Natürlich wurde die Mannschaft verändert. Neue Spielerinnen und Trainer kamen hinzu. Das erfordert eine gewisse Abstimmung. Ich bin natürlich stolz, dass wir damals die Bronze-Medaille geholt haben. Wir hatten uns in der Weltspitze etabliert. Nun ist es unser Ziel, an diese Zeiten wieder anzuknüpfen.“ Handball.de: Sie spielen seit 2011 in Montenegro bei ?RK Buducnost Podgorica. Inwiefern unterscheidet sich das Handball-Interesse dort von dem in Deutschland? 
Woltering: „Frauen-Handball hat in Montenegro einen ganz anderen Stellenwert. Nach dem Gewinn der Europameisterschaft gab es für die Nationalmannschaft einen riesigen Empfang. Die Menschen sind richtig stolz auf ihre Nationalmannschaft. Das wäre bei uns in diesem Ausmaß undenkbar. Aber Montenegro und Deutschland sind ohnehin schwer zu vergleichen. Wir haben viele sportliche Erfolge in den verschiedensten Sportarten. In Montenegro konzentriert sich das Interesse viel mehr auf die Handball-Frauen.“ Handball.de: War der Wechsel nach Montenegro für Sie auch rückblickend die richtige Entscheidung? 
Woltering: „Auf jeden Fall. Hier kann ich professionell Handball spielen. Das ist in Deutschland vielerorts nicht möglich. In dieser Hinsicht sind andere Länder uns voraus. Daher muss es das Ziel sein, den Sport auch in Deutschland zu professionalisieren, damit die Frauen noch mehr Zeit dem Handball widmen können.“ „