Michael „Mimi“ Kraus: Superstar oder ewiges Supertalent?

Wenn die deutsche Nationalmannschaft bei der bevorstehenden Europameisterschaft in Serbien aufläuft, wird einer der Führungsspieler fehlen: Michael Kraus. Bundestrainer Martin Heuberger nominierte den 28-jährigen Rückraumspieler nicht. Das war einerseits überraschend, andererseits auch verständlich. Michael Kraus hat ein Halbjahr voller Rückschläge hinter sich.

Noch vor Saisonbeginn erlitt er mit seinem Porsche einen Autounfall, fiel exakt 100 Tage aus. Kurz nach seinem Comeback der nächste Rückschlag: Ein Muskelfaserriss. Er fand zwar schnell wieder zurück zu seiner Form, besonders im DHB-Pokal Achtelfinale bei den Rhein-Neckar Löwen setzte er Akzente. Doch Martin Heuberger reichte das nicht aus. Wir sind gemeinsam zu dem Ergebnis gekommen, dass die Belastung durch die hohe Anzahl von Spielen bei einer EM für Mimi nach vier Monaten Verletzungspause und wenig Spielpraxis wohl noch zu früh kommen würde“, sagte der Bundestrainer gegenüber dem Sport-Informations-Dienst. Michael Kraus zeigte sich enttäuscht, aber auch vernünftig. Wenn er nicht zu 100 Prozent fit ist, möchte er auch nicht spielen.

Er hat eben dazugelernt: Bei der Europameisterschaft 2010 ging er mit Knieproblemen ins Turnier. Die Nationalmannschaft und Kraus enttäuschten. Man habe gesehen, wohin das führt, sagte Kraus rückblickend. Und so etwas möchte er nicht noch einmal erleben. Der EM-Ausfall von Michael Kraus passt in das Gesamtbild seiner Karriere. Einerseits ist er ein Profi, der zum Sport-Megastar gemacht zu sein scheint. Er ist nicht nur ein hervorragender Handballspieler, sondern bringt auch das gewisse Star-Appeal mit.

Als 16-Jähriger wurde er bereits von der Jugendzeitschrift BRAVO zum „Boy des Jahres“ gewählt. Auch bei den Fans des HSV, wo er seit Sommer 2010 spielt, ist er außerordentlich beliebt. Kraus gehört zu den Spielern, die nach dem Spiel gerne noch zu den Fans gehen und unzählige Autogramme schreiben. Dabei hat er immer ein Lächeln und ein paar freundliche Sätze auf den Lippen.

Andererseits ist Michael Kraus auch ein Spieler, der sein Potential oftmals nicht ausschöpfen kann. Nach der Europameisterschaft 2008 wurde er vom damaligen Bundestrainer Heiner Brand sogar öffentlich kritisiert und aufgrund seiner schwachen Leistung aus der Nationalmannschaft gestrichen. Auch bei der Europameisterschaft 2010 und der Weltmeisterschaft 2011 geriet Kraus, wie die gesamte Nationalmannschaft in die Kritik. Und beim HSV, wo er den Schritt zum Führungsspieler machen sollte, wird er aufgrund seines Verletzungspechs regelmäßig zurückgeworfen. “Das ist für jeden Sportler ein Alptraum”, sagt Kraus über seine Verletzungsphasen. “Wenn ich meine Mannschaftskameraden kämpfen sah, tat das schon weh. Gerade weil ich dieses Wir-Gefühl nicht miterleben konnte. Da sitzt man zu Hause herum und ist frustriert.” Für ihn geht es nun darum, die EM-Pause zu nutzen, um vielleicht im nächsten Anlauf den immens hohen Erwartungen der Fans und Medien gerecht zu werden. “Ich werde schon ein paar Tage frei machen”, sagte er gegenüber der Hamburger Morgenpost. “Es ist auch gut, wenn die Wade nicht unter Dauerstress steht und ein bisschen Ruhe bekommt. Danach möchte ich mit intensiven Training zu meinem alten Leistungsniveau zurückfinden.“

Michael Kraus ist ein Mensch, der das Leben genießen möchte. Er hat ein Faible für Mode und Uhren. Mindesteins einmal jährlich fliegt er nach New York, gibt sich dem aufregenden Stadtleben und dem Shopping-Vergnügen hin. Außerdem ist er ein begeisterter Auto- und Motorradfahrer. Trotz dieser nicht sonderlich bescheidenen Hobbys hat er nicht den Boden unter den Füßen verloren. Privat umgibt er sich am liebsten mit seinen alten Freunden aus seiner Heimat Göppingen und seiner Familie. Ein enges Verhältnis hat er zu seinem Bruder Christian, der auch sein Manager ist. Im Kreise seiner engsten Vertrauten hat er über Weihnachten und Silvester Kraft für die weiteren Aufgaben mit dem HSV gesammelt. Dass die Titelverteidigung der Deutschen Meisterschaft kaum möglich ist, weiß er nur allzu gut. Man müsse sich auf Platz 2 konzentrieren und sich für die Champions League qualifizieren. Außerdem wolle man in der Champions League das Final Four erreichen, sagte Kraus. Und ganz nebenbei dürfte er seinen Kritikern endgültig beweisen wollen, dass er nicht nur ein charismatischer Sunnyboy, sondern ein echter Führungsspieler sein kann.