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Interview mit Vlado Stenzel (Weltmeister-Trainer von 1978): ,,Deutschland hat die Kondition gefehlt“

Der ehemalige Bundestrainer Vlado Stenzel, der die Deutsche Nationalmannschaft 1978 zur Gewinn der Weltmeisterschaft führte, analysiert exklusiv auf HANDBALL.DE die zurückliegende WM in Katar.

HANDBALL.DE: Herr Stenzel, wie fällt Ihr Fazit zur Weltmeisterschaft in Katar aus? 
Vlado Stenzel: ,,Die größte Kuriosität war, dass die Nationalmannschaft von Katar mit ihrer zusammengekauften Truppe erfolgreich gewesen ist. Ich finde allerdings nicht, dass das dem Sport geschadet hat. Katar hat sich an die Regeln des IHF gehalten. Wir Deutsche haben doch genauso Spieler in der Nationalmannschaft gehabt, die keine Deutschen waren. Hansi Schmidt, der bei uns damals eine wichtige Rolle gespielt hat, kam zum Beispiel aus Rumänien. Das hat niemanden gestört. Im Fußball haben wir auch solche Fälle.“ 

HANDBALL.DE: Viele Handballfans sehen es kritisch, wenn 12 der 16 Spieler nur eingebürgert sind.
Vlado Stenzel: ,,Viele Menschen schimpfen, weil sie nicht objektiv sind. Kurios ist nur, dass der Handballverband von Katar plötzlich so viel Geld hat. Das hat es bisher nicht gegeben. Dass der Verband das Geld einsetzt, um Erfolg zu haben, ist völlig okay. Sie empfanden es eben halt als wichtiger, eine erfolgreiche WM zu spielen als auf Spieler aus dem eigenen Land zu setzen.“  

HANDBALL.DE: Das würde also jede andere Nation auch so machen?
Vlado Stenzel: ,,Nicht alle. Kroatien wäre zum Beispiel viel zu stolz dafür. Und wo wir gerade beim Thema Stolz sind…“  

HANDBALL.DE: … Ja?
Vlado Stenzel: ,,In Deutschland fehlt mir ein gewisser Stolz auf unsere Mannschaft. Das fängt bereits damit an, dass unser Team immer die DHB-Auswahl genannt wird. Wir sprechen nicht von der Deutschen Nationalmannschaft, sondern von der DHB-Auswahl. Das kann ich nicht verstehen. Aber vermutlich weiche ich nun zu sehr vom Thema ab.“ 

HANDBALL.DE: Dann lassen Sie uns wieder über den sportlichen Teil der WM sprechen. Viele Kritiker und Fans behaupten, die Nationalmannschaft von Katar wurde von den Schiedsrichtern bevorteilt. Haben Sie das auch so empfunden? 
Vlado Stenzel: ,,Nein. Es gab auch Situationen, bei denen Deutschland im Spiel gegen Katar bevorteilt wurde. Einmal hätte ein Deutscher sogar die rote Karte bekommen müssen. Die Schiedsrichter haben das absichtlich übersehen, damit ihnen niemand vorwerfen kann, sie seien von Katar gekauft gewesen. Das Problem im Handball ist, dass viele Regeln Auslegungssache sind. So zum Beispiel das passive Spiel. Dadurch passiert es leicht, dass sich einige Mannschaften benachteiligt fühlen. Es wäre ein großer Fehler, die Schuld an der Niederlage gegen Katar auf die Schiedsrichter zu schieben. Meiner Meinung nach waren die Schiedsrichter sogar besser als bei den letzten Turnieren. Wir haben aus anderen Gründen gegen Katar verloren.“ 

HANDBALL.DE: Welche wären das? 
Vlado Stenzel: ,,Wir standen fünfmal alleine vor dem gegnerischen Torwart und treffen nicht. Daran waren sicherlich nicht die Schiedsrichter schuld.“ 

HANDBALL.DE: Wie fällt Ihr allgemeines Fazit zur Deutschen Nationalmannschaft bei der WM aus? 
Vlado Stenzel: ,,Ich bin sehr zufrieden. Wir hatten seit langer Zeit wieder eine Mannschaft, die von der ersten bis zur letzten Minute gekämpft hat. Sie war in der Abwehr und im Angriff eingespielt. Ich muss dem Trainer Dagur Sigurdsson meine Hochachtung zollen. Natürlich konnte er nicht alles ändern. Sein Fokus lag darauf, dass seine Mannschaft eingespielter wird und Selbstsicherheit bekommt. Genau dieses Selbstvertrauen hat die letzten Jahre gefehlt. Problem war nur, dass er deshalb nicht so viel Zeit hatte, an der Fitness zu arbeiten. Deshalb hat beim Spiel gegen Katar in die letzten Minuten teilweise die Kondition und somit die Konzentration gefehlt.“ 

HANDBALL.DE: Hätte der Bundestrainer also mehr Wert auf die Fitness legen müssen?
Vlado Stenzel: ,,Nein. Hätte er das gemacht, hätte er weniger Vorbereitungsspiele machen können und die Mannschaft wäre weniger eingespielt gewesen. Aber in der Zukunft sollte man vielleicht mehr Wert auf die Fitness legen. Dann sehe ich Deutschland auf einem guten Weg. Wir müssen aber kapieren, dass wir weiter hart arbeiten müssen. Niemand darf glauben, wir wären als 7. der WM bereits ganz oben angekommen.“ 

HANDBALL.DE: Woran muss Deutschland vor allem noch arbeiten?
Vlado Stenzel: ,,Das Zusammenspiel mit der Bank muss besser werden. Die Mannschaft muss so eingespielt sein, dass es irgendwann egal ist, wer spielt. Kreisläufer Patrick Wiencek war zum Beispiel teilweise müde, hat deshalb trotz seiner hohen Qualität manche wichtige Tore nicht gemacht. Erik Schmidt konnte ihn nicht ersetzen, weil er mit der Mannschaft noch nicht so eingespielt war. Das braucht Zeit und hat nichts mit der Qualität von Schmidt zu tun.“ 

HANDBALL.DE: Wo sehen Sie ansonsten eine Schwachstelle? 
Vlado Stenzel: ,,Ich hätte mir nach Uwe Gensheimer einen weiteren starken Linksaußen gewünscht. Matthias Musche müsste sich noch entwickeln. Er ist auch noch sehr jung.“ 

HANDBALL.DE: Und welche Spieler haben Ihnen besonders gut gefallen? 
Vlado Stenzel: ,,Vor allem die Torhüter. Carsten Lichtlein strahlt viel Ruhe aus. Die Kombination mit einem so ehrgeizigen Torhüter wie Silvio Heinevetter passt hervorragend. Wenn Heinevetter später in das Spiel kommt, bringt er hervorragende Leistungen. Als ersten Torhüter war er meiner Meinung nach teilweise überfordert.“ 

HANDBALL.DE: Und welche Feldspieler fielen positiv auf? 
Vlado Stenzel: ,,Dass Spieler wie Uwe Gensheimer oder Steffen Weinhold hervorragend sind, dürfte bereits vorher jedem klar gewesen sein. Auch Patrick Groetzki hat sich toll entwickelt und ist mittlerweile eine wichtige Stütze. Außerdem fand ich Jens Schöngarth super. Er ist ein ganz neuer Spielertyp für die Nationalmannschaft. So einen starken Linkshänder mit einer Größe von über zwei Metern hatten wir lange nicht mehr. Zudem ist Martin Strobel zu nennen. Er hat besser gespielt, als viele vorher gedacht hätten.“